Antimuslimischer Rassismus bezeichnet eine Form des Rassismus, die sich gegen Muslim*innen sowie Menschen richtet, die als Muslim*innen gelesen werden. Das bedeutet, dass die Religiosität oder tatsächliche Zugehörigkeit zur islamischen Religion nicht entscheidend ist. Auch Menschen, die sich selbst gar nicht als muslimisch verstehen/identifizieren, aber aufgrund ihres Aussehens oder Namens als muslimisch wahrgenommen werden, können antimuslimischen Ressentiments ausgesetzt sein. Woran erkenne ich antimuslimischen Rassismus? Der antimuslimische Rassismus folgt Denkmustern, die auch anderen Rassismen innewohnen: Muslimische und als muslimisch markierte Menschen werden zu einer einheitlichen Gruppe konstruiert, der pauschal zumeist negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die sie von der Eigengruppe quasi natürlich unterscheidet. Mit der Abwertung der „Anderen“ geht eine Aufwertung der ebenfalls konstruierten Eigengruppe einher, die als positives Gegenbild (zivilisiert, aufgeklärt, emanzipiert etc.) entworfen wird. Die Konstruktion einer binären Ordnung (Wir vs. Muslim*innen) dient dabei gleichzeitig der Begründung von Privilegien der Dominanzgesellschaft (d.h. der nichtmuslimischen weißen Mehrheitsgesellschaft). Wichtig ist, dass es sich hierbei nicht um das tatsächliche Verhalten und die Lebenswirklichkeiten von Muslim*innen geht, sondern dieses Bild eine Konstruktion ist, das heißt erst durch die Dominanzgesellschaft hervorgebracht wird. Das bedeutet: Muslim*innen werden zu Anderen „gemacht“ („Othering“). Dieser Konstruktionsprozess wird „Rassifizierung“ genannt. Merkmale vom (antimuslimischen) Rassismus „Rassismus funktioniert nach einem Dreiklang: ,Sie müssen alle so sein, weil ihre Religion/Kultur/Biologie ihnen das vorschreibt‘ (Essentialisierung). ‚Sie sind alle gleich‘ (Homogenisierung). ‚Sie sind anders als wir‘ (Dichotomisierung). Und meist bedeutet ,anders‘ eben auch ,weniger gebildet, fortschrittlich, zivilisiert‘. (Iman Attia, 2019) Im modernen Rassismus haben die Kategorien „Kultur“ und „Religion“ die Stelle des biologistischen Rassebegriffs eingenommen, welcher seit dem Verbrechen des Nationalsozialismus als verpönt gilt. Man spricht hier vom Kulturrassismus oder Neo-Rassismus. Das bedeutet: Um Personen und Personengruppen abzuwerten sowie Unterschiede und Hierarchien zwischen denselben zu behaupten, wird nunmehr auf die Kategorien „Kultur“ und „Religion“ zurückgegriffen („Die Kultur der Muslime passt nicht zu uns“). Rassismus ohne Rassen „[…] [B]iologisch gibt es ohnehin keine „Rassen“. Im Rassismus geht es auch nicht um „Rassen“, sondern darum, dass Menschen aufgrund eines Merkmals „rassifiziert“, also zu einer einheitlichen Gruppe gemacht werden. Dabei kann es mal die Religion sein, die der Grund dafür ist, dass Menschen als „anders“ wahrgenommen werden. Mal ist es die Kultur, mal die Biologie. Aber die Logik ist immer dieselbe.“ (Iman Attia, 2019) Geschichte und Gegenwart antimuslimischer Narrative Zahlreiche repräsentative Studien haben gezeigt, dass Vorurteile und negative Einstellungen gegenüber Muslim*innen und „dem Islam“ in der deutschen nicht-muslimischen Bevölkerung in allen Schichten und Altersgruppen weit verbreitet sind. So empfindet mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Befragten in Deutschland den Islam als bedrohlich. Über 50 % der bejahen die Unvereinbarkeit von „Islam und westlicher Welt“. Diese antimuslimischen Ressentiments gehen auf altbekannte Feindbilder und Topoi zurück, die sich im kulturellen Gedächtnis Europas und Deutschlands verfestigt haben. Insbesondere im Zuge der Kolonialisierung wurde das Bild vom unzivilisierten, minderwertigen Orient konstruiert und dem Bild vom fortschrittlichen und überlegenen Westen gegenübergestellt. Das Neuartige an antimuslimischen Rassismen der Gegenwart ist, dass sie sich mit Integrations- und Migrationsdebatten vermischen und damit die Funktion erfüllen, Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zu regeln. Dies zeigt sich darin, dass Begriffe wie „Türke“ „Migrant“ und „Muslim“ austauchbar geworden sind. Aus vormaligen „Ausländern“ wurden „Muslime“, die als „anders“, „fremd“, „nicht zugehörig“ markiert werden. Mit dieser Stigmatisierung geht eine Zunahme an islamfeindlichen Angriffen auf Muslim*innen und als muslimisch markierte Menschen, Geflüchtetenheimen sowie Moscheen einher. Trauriges Zeugnis des wachsenden antimuslimischen Rassismus sind nicht zuletzt die rassistischen Morde von Hanau. Strukturelle Dimension vom antimuslimischen Rassismus. Oder: Nicht nur der*die Einzelne ist das Problem Anders als die Begriffe Islam- und Muslimfeindlichkeit, welche die individuellen, ablehnenden Einstellungen gegenüber Islam und Muslim*innen in den Blick nehmen, zeigt die Theorie des Antimuslimischen Rassismus – im Anschluss an rassismuskritische und postkoloniale Ansätze – auf, dass antimuslimische Haltungen nicht lediglich als Einstellungen von Einzelpersonen zu betrachten sind. Vielmehr werden diese gesamtgesellschaftlich auf verschiedenen Ebenen (institutionell, diskursiv, strukturell) begünstigt und (re-)produziert. Es gilt daher, die Macht- und Dominanzverhältnisse zu untersuchen, die die Marginalisierung von Muslim*innen befördern: Wer spricht? Wer hat die Definitionsmacht? Wer entscheidet, wer dazugehört und wer nicht? Praktiken von Ein- und Ausschluss durchziehen sich durch verschiedene Bereiche (z.B. auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt) und gehören zum Alltag von Muslim*innen und als muslimisch markierten Menschen. Aus diesem Grund ist hier vom antimuslimischen Rassismus zu sprechen. Diskursive Ebene In Studien und Diskursanalysen wurde mehrfach gezeigt, dass die mediale Berichterstattung über den Islam und die Muslim*innen in einem problemzentrierten und negativen Rahmen stattfindet. Positives, Normales und Alltägliches werden ausgeblendet. Auch wenn vereinzelt Medien differenziert über Islam und Muslim*innen berichten und die vielfältigen Lebensrealitäten von Muslim*innen aufzeigen, hat sich am Gesamtbild in den letzten Jahren nicht viel geändert. Themen wie Terrorismus, Frauenfeindlichkeit, Integrationsdefizite werden immer wieder pauschal in Zusammenhang mit Islam und Muslim*innen gebracht. Dadurch werden negative Kollektivzuschreibungen gegenüber Muslim*innen „normal“ und „sagbar“ gemacht. Ausgrenzende und stereotypisierende Berichterstattung muss nicht immer in Form von explizit negativen Zuschreibungen erfolgen. Ein jüngstes Beispiel, das dies gut veranschaulicht, ist ein Beitrag bei ARTE im Rahmen der Reihe „Calling Home“. Hierbei werden Telefongespräche zwischen erwachsenen Kindern mit ihren Eltern filmisch festgehalten. Es geht um Themen, die für Konflikte sorgen und Generationsunterschiede sichtbar werden lassen. Das Gespräch zwischen Emine Palabiyik, einer muslimischen Hip-Hop-Tänzerin, und ihrer Mutter wird mit der Überschrift „Islam und Feminismus“ betitelt. Nachdem sich Emine Palabiyik beschwert, wird sie abgeändert. Die Wahl dieser Überschrift ist bezeichnend: Plötzlich werden zwei individuelle Menschen mit ihren komplexen Facetten und Lebensgeschichten auf ihre muslimische Zugehörigkeit reduziert und zum Teil des hegemonialen Islamdiskurses gemacht. Entindividualisierung, Aberkennung von Komplexität und Reduktion auf die muslimische Zugehörigkeit sind ebenfalls Merkmale stereotyper Darstellung von Muslim*innen. Strukturelle / Institutionelle Ebene Ausgrenzungspraktiken auf struktureller und institutioneller Ebene werden am Beispiel des pauschalen Kopftuchverbots für Lehrer*innen deutlich, das 2004-2006 in verschiedenen Bundesländern erlassen und 2015 mit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als verfassungswidrig beurteilt wurde. In diesen sogenannten „Kopftuchgesetzen“ wurde die Ausgrenzung muslimischer Frauen durch eine pauschale Zuschreibung („Das Kopftuch gefährdet den Schulfrieden“) gesetzlich legitimiert – und zwar ungeachtet dessen, dass bis dahin jahrelang kopftuchtragende Lehrer*innen problemlos unterrichtet haben. Die Machtposition und Definitionsmacht werden dazu genutzt, Ungleichheit und Ausgrenzung zu legitimieren und um – über den Köpfen der marginalisierten Gruppe hinweg – zu entscheiden, wer dazugehört und wer ausgeschlossen werden darf. Die Strahlkraft eines solchen Kopftuchverbots auf die Wahrnehmung kopftuchtragender Muslim*innen wie auch ihre Arbeitschancen in anderen Sektoren ist nicht zu unterschätzen. Tatsächlich sind kopftuchtragende Frauen von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt am stärksten betroffen. Begreift man die strukturelle Dimension des (antimuslimischen) Rassismus, eröffnen sich auch Chancen: Weil sich rassistische Strukturen und Denkfiguren durch die Gesellschaft hindurchziehen, können wir uns als Individuen diesen nicht entziehen und sind – gewollt oder ungewollt – in sie verstrickt. Der rassismuskritische Ansatz fokussiert und denunziert vor diesem Hintergrund nicht die Einzelperson als „Rassist*in“, sondern die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen „Verstrickung“. Daraus ergibt sich ein produktiver Ansatz: Aufgabe jeder Einzelperson ist es, Bilder und Vorurteile im Kopf sowie die eigenen Privilegien zu überdenken, d.h. die jeweils eigene Verstrickung zu hinterfragen. Dieser Ansatz kann zur Enttabuisierung des Themenkomplexes „Rassismus“ beitragen und zu einer gesamtgesellschaftlichen Annahme des Themas verhelfen. Mit Präventionsarbeit antimuslischen Rassismus begegnen Der Antimuslimische Rassismus zählt zu den Kernthemen des Multikulturellen Forums e.V. (siehe auch das aktuelle Projekt „Muslime im Dialog“). Im Rahmen von Bildungsangeboten für Jugendliche, junge Erwachsene und Multiplikator*innen setzen wir uns mit antimuslimischem Rassismus, Othering-Prozessen und religiöser Vielfalt auseinander. Dabei zielen die Workshops zum einen darauf ab, Wissen über den antimuslimischen Rassismus zu vermitteln. Zum anderen wird auf der Einstellungsebene eine Auseinandersetzung mit den eigenen Bildern im Kopf (Welche Bilder habe ich? Warum habe ich dieses Bild? Wie entstehen diese Bilder?) angeregt. Auf diese Weise wird vorurteilsbewusstes und diskriminierungskritisches Handeln eingeübt. Auch das Aufzeigen von Gegennarrativen im Kontext von Islam und Muslim*innen sowie der Vielfalt muslimischer Lebenswelten tragen dazu bei, Vorurteile und Stereotype abzubauen. Schließlich wird durch Dialogformate und interreligiöse Begegnungen ein lebendiger Austausch über lebensweltliche Fragen initiiert. Quellen Cheema, Saba-Nur (2017): Othering und Muslimsein. Über Konstruktionen und Wahrnehmungen von Muslim*innen. In: Außerschulische Bildung -Zeitschrift der politischen Jugend-und Erwachsenenbildung 48, 2, S.23–28. Bertelsmann-Stiftung: Religionsmonitor 2015. Schönfeld, Anne (2019): Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus. Eine Bestandsaufnahme [letzter Zugriff: 03.04.2020]. Shooman, Yasemin (2011): Islamophobie, antimuslimischer Rassismus oder Muslimfeindlichkeit? Kommentar zu der Begriffsdebatte der Deutschen Islam Konferenz [letzter Zugriff: 03.04.2020]
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